Im aktuellen «Savoir Vivre» stellt Wissenschafterin Alena Frehner die Ökobilanzierung vor. Im Gespräch vertieft sie ihre Gedanken und fordert dazu auf, die Herausforderungen der Energiewende mutig anzupacken.
Interview: Bruno Habegger
Alena Frehner, hat das Fotoshooting für die zweite Ausgabe von «Savoir Vivre» Spass gemacht?
Ja, klar. Die Lust am Leben ist mir noch nicht vergangen, bei allen Herausforderungen, denen wir Menschen uns derzeit stellen müssen. Mir ist wichtig, dass Mode nachhaltig ist und fair produziert worden ist. Das geht halt nur mit einem gewissen finanziellen Aufwand auf Herstellerseite, aber auch bei den Konsumenten.
Das Heftthema «Energie» passt perfekt zu Ihnen.
Natürlich. Meine Masterarbeit habe ich über die Ökobilanz einer schwimmenden Solaranlage erstellt. Das Thema ist mir sehr wichtig. Durch meinen Master und nun auch in meinem jetzigen Job setze ich mich intensiv mit erneuerbaren Energien auseinander. Ich bin regelmässig fasziniert von der Kraft, der Unendlichkeit und vor allem dem Potential der Energie, die uns umgibt. Gerade in Bezug auf erneuerbare Energien ist es bloss unglaublich wichtig, dieses Potential zu nutzen.
Womit verbinden Sie den Begriff sonst noch?
Energie ist ja so vielseitig, da gehen meine Gedanken in viele Richtungen. Ich denke dabei in erster Linie an die Lebensenergie, an unsere menschliche Energie, aber ich denke auch an Energiewirtschaft, das Gebiet der erneuerbaren Energien und Thematiken wie die Energiewende. Ob man es aus einer wissenschaftlichen oder philosophischen Perspektive betrachtet, die Quintessenz ist dieselbe: Alles ist Energie. Das macht das Thema ja auch so unendlich spannend. Um es mit Einsteins Worten auszudrücken: «Alles ist Energie. Gleiche dich der Frequenz der Realität an, die du möchtest und du kreierst diese Realität. Das ist nicht Philosophie. Das ist Physik.».
Sie beschäftigen sich täglich mit Energiefragen?
Auf allen Ebenen, ja. Ob es nun Physik oder Philosophie ist – dass das Konzept auf eine fundamentale Wahrheit stösst, haben wir, denke, ich alle schon erlebt. Man befindet sich in der positiven Aufwärtsspirale und plötzlich folgt ein positives Ereignis auf das nächste. Befindet man sich in der negativen Abwärtsspirale, geschieht ein Mist nach dem anderen. Meine Energie kreiert meine Realität – Irgendwie grossartig und beängstigend zugleich.
In Ihrer Haupttätigkeit, der Ökobilanzierung, steckt viel Energie. Worum geht es, einfach gesagt?
Ökobilanzierung ist eine Methode zur Berechnung der potenziellen Umweltauswirkungen von Produkten oder Dienstleistungen. Ausschlaggebend bei einer Ökobilanz ist dabei die Lebenszyklusperspektive. Betrachtet wird der gesamte Lebenszyklus eines Produktes von der Rohstoffgewinnung, über die Herstellung, den Transport und die Nutzung bis hin zur Entsorgung des Produktes. So wird einerseits der Verbrauch von Rohstoffen und Energie und andererseits der Ausstoss umweltschädlicher Emissionen in Luft, Wasser und Boden berechnet. Basierend auf diesen Berechnungen können Empfehlungen zu ökologischen Optimierungen gemacht werden, wodurch Ökobilanzen häufig in der Produktentwicklung und als Entscheidungsgrundlage in umweltbezogenen Thematiken Anwendung finden. Insbesondere im Hinblick auf die Energiewende erlangt die Ökobilanzierung im Energiesektor eine zunehmend zentrale Rolle, weshalb ich mich in den letzten Jahren intensiv mit diesen spannenden Thematiken auseinandersetzen konnte.
In welchen Bereichen sind Ökobilanzen sinnvoll?
In so ziemlich jedem Bereich. Egal ob wir ein Produkt konsumieren, einen Ausflug unternehmen oder einfach unser tägliches Leben bestreiten – alles braucht Ressourcen und emittiert irgendwelche Emissionen. Man kann ja quasi keinen Pieps machen, ohne dass irgendwo deswegen CO2 ausgestossen wird. Insbesondere in der Politik wäre es meiner Meinung nach wichtig, Ökobilanzen noch deutlich stärker zu integrieren. Hier werden Entscheidungen getroffen, die die Richtung unseres Weges bestimmen. Ökobilanzen können mögliche Konsequenzen unterschiedlicher Entscheidungen aufzeigen und somit einen Einblick in die potenziellen Auswirkungen auf die Umwelt geben. Ökobilanzen zur Entscheidungsfindung auf den drei Ebenen der Politik vermehrt beizuziehen, fände ich deshalb nicht nur sinnvoll, sondern extrem wichtig.
Wo steht denn die Disziplin der Ökobilanzierung heute? Wo fehlts, was braucht es?
In Anbetracht der Netto-Null-Strategien, die in Unternehmen, Institutionen und Organisationen aller Branchen zunehmend umgesetzt werden, wird die Ökobilanz zu einer entscheidenden Komponente. Für eine erfolgreiche Netto-Null-Strategie ist die Betrachtung aller Phasen des Lebenszyklus massgebend und genau da kommt die Ökobilanzierung ins Spiel. Erst ein solch holistischer Ansatz ermöglicht die Entwicklung und Implementierung erfolgreicher Strategien.
Somit müsste jedes Unternehmen Ökobilanzen erstellen. Warum tun sie es nicht?
Sie tun es, jedoch zögerlich. Weniger interessiert an Ökobilanzen sind sie in der Regel, wenn es ums Rausrücken der benötigten Daten geht. Für Ökobilanzen ist eine solide Grundlage an Primärdaten essenziell. Dies betrifft jedoch für die Unternehmen oftmals sensible Daten, was das Ganze natürlich kompliziert macht. Ein grosser Fortschritt für die Ökobilanzierung wäre es daher, wenn Primärdaten auf breiter Basis zur Verfügung gestellt würden.
Ganz konkret. Für die Transformation des Energiesystems brauchen wir mehr Strom. Ist die Elektrifizierung wirklich besser als die konventionelle Verbrennung von fossilen Energieträgern?
Einerseits muss man bei solchen Fragen immer den Fortschritt der Technologie beachten. Was für Photovoltaik zählt, ist generell gültig: Je länger etwas auf dem Markt ist, desto effizienter sind die Prozessschritte. So haben die fossilen Alternativen bezüglich Effizienz erstmal die Nase vorne und schneiden zu Beginn möglicherweise besser ab als neue Ansätze durch Elektrifizierung. Andererseits ist bei Elektrifizierungsansätzen die Energiequelle ausschlaggebend. Damit die möglichen Vorteile der Elektrifizierung zum Tragen kommen, muss die Stromerzeugung aus kohlenstoffarmen Quellen wie erneuerbaren Energien erfolgen. Ist dies der Fall, so birgt die Elektrifizierung das Potential, die Dekarbonisierung massgeblich voranzutreiben.
Die Technologie selbst ist also nicht das Problem. Was ist es dann?
Eine weitreichende Elektrifizierung hat zwangsläufig einen erheblichen Anstieg im Bedarf an Strom aus erneuerbaren Quellen zur Folge und der Wandel kann nicht auf Knopfdruck geschehen. Klar, da stehen noch viele Herausforderungen bevor. Entscheidend finde ich aber nicht das Abwägen, ob diese Herausforderungen zu gross sind und ob man den Wandel wagen soll oder nicht. Die eigentliche Frage ist lediglich, welcher Weg zukunftsfähig ist und dann gibt es nur eine Antwort. Wandel braucht Mut, aber es ist der einzige Weg, der uns über unser Morgen hinausführt.
Das braucht Energie! Viel Energie!
(lacht). Ja. Im mehrfachen Sinn. Es braucht auch menschliche Energie. Sie hat einen riesigen Einfluss, wenn nicht sogar den grössten. Wie Einstein ja sagte, und auch ich bin fest davon überzeugt, kreieren wir unsere Realität selber. Mit welcher Energie wir also unsere täglichen Aufgaben und Herausforderungen angehen und unseren Mitmenschen begegnen, ist entscheidend. Ich bin überzeugt, dass die eigene Energie, die Erwartungshaltung und Einstellung unser Heute, aber auch unser Morgen bestimmt.
Sind Sie zuversichtlich?
Aus der Zuversicht schöpfe ich Energie. Und dennoch, so sehr ich auch von der Kraft der menschlichen Energie überzeugt bin – ich lehne mich ja trotzdem nicht einfach zurück und hoffe, dass meine menschliche Energie die Welt rettet. Ich glaube, es braucht beides, ein Zusammenspiel dieser verschiedenen Komponenten und vor allem ein Miteinander. Als Kollektiv die Energie aufbringen und gemeinsam eine nachhaltige Zukunft kreieren – das wäre mein Wunsch.
Über die Gesprächspartnerin
Alena Frehner ist im solothurnischen Günsberg aufgewachsen und nun nach vier Jahren Ausbildung in den Niederlanden wieder in Solothurn wohnhaft. Zuhause fühlt sie sich aber auf der ganzen Welt und hat durch ihren internationalen Bachelor in Wildlife Management schon viele Teile der Erde entdecken können. Seit ihrem Master an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil ist sie seit zwei Jahren im Bereich der Ökobilanzierung tätig. Die vielseitige Arbeit erlaubt es ihr unter anderem, sich intensiv mit Thematiken im Bereich der erneuerbaren Energien auseinanderzusetzen. Für eine nachhaltige Zukunft setzt sie sich voller Leidenschaft ein.